Die Erste Abschiedsrede. Fortgang und neues Kommen Jesu.
(1) Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich! (2) Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, hätte ich euch dann gesagt: Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten? (3) Wenn ich gegangen bin und einen Platz für euch vorbereitet habe, komme ich wieder und werde euch zu mir holen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin. (4) Und wohin ich gehe – den Weg dorthin kennt ihr. (5) Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir dann den Weg kennen? (6) Jesus sagte zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich. (7) Wenn ihr mich erkannt habt, werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Schon jetzt kennt ihr ihn und habt ihn gesehen. (8) Philippus sagte zu ihm: Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns. (9) Jesus sagte zu ihm: Schon so lange bin ich bei euch und du hast mich nicht erkannt, Philippus? Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst du sagen: Zeig uns den Vater? (10) Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch sage, habe ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke. (11) Glaubt mir doch, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist; wenn nicht, dann glaubt aufgrund eben dieser Werke! (12) Amen, amen, ich sage euch: Wer an mich glaubt, wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen und er wird noch größere als diese vollbringen, denn ich gehe zum Vater.
Johannes 14,1−12
Meditative Gedanken
“God is watching you from a distance!”, heißt es in einer Popballade von Bette Middler. Das Lied stellt einen Gott vor, der uns aus der Ferne beobachtet. Er ist da oben, wir sind da unten. Er ist ganz groß, wir sind ganz klein. Er lebt in einer anderen Welt und wir wollen irgendwann auch dort hinkommen. Wirklich? Der Refrain des Liedes hat mich trotz der eingängigen, wenn auch etwas traurig anmutenden Melodie immer gestört. Was soll ich mit diesem fernen Gott? Interessieren ihn die Dinge, die mich beschäftigen?
Jesus vermittelt bei Johannes in seiner Abschiedsrede ein anderes Bild “Wer mich sieht, sieht den Vater.” Gott kann den Menschen doch kaum näherkommen als in seinem Sohn, der sein Schicksal mit uns teilt. Er weiß von unseren kleinen und großen Sorgen und Freuden. Da ist keine Distanz.
Wenn Jesus sagt, dass durch alle, die an ihn glauben, Gott erfahrbar wird, dann rückt Gott im Johannesevangelium noch näher,. Also kann ich Gott auch in mir entdecken. Wenn ich anfange, in mir nach ihm zu suchen, ist Jesu Ratschlag hilfreich: “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.” Der Blick auf sein Leben und Handeln ist der Kompass für meine Gottessuche.
Jesus spricht den Jüngern Trost zu, bevor er die greifbare Wirklichkeit verlässt. Kein Grund, sich verwirren zu lassen, meint er. Damit tröstet er auch mich, wenn ich mal wieder nicht weiß, woran ich mich festhalten soll. Die Wohnungen, die er den Jüngern und allen, die an ihn glauben, bereiten will, kann ich mir nicht in irgendeiner Anderswelt vorstellen. Eine Wohnung nehme ich mir da, wo ich mich zu Hause fühle, wo ich Heimat habe, wo ich denen nahe bin, die ich liebe. Wenn ich meinen Glauben zu einer greifbaren Wirklichkeit mache, dann muss ich nur noch die Türe aufmachen und bin angekommen. Und dann singe ich keine traurige Ballade von der Distanz zu Gott, sondern ein fröhliches Lied von seiner Nähe!
Burkard Vogt, Bildungsreferent und Öffentlichkeitsarbeiter in der Diözese Würzburg
Fürbitten
In unseren eigenen Herausforderungen und den Nöten der ganzen Welt sind wir berufen, an das Leben zu glauben. Wir wollen uns und unser Herz nicht verwirren lassen und beten voll Vertrauen:
- Für die Menschen in New York, immer noch erschüttert von den vielen Toten. Für alle, die dort und auch hier bei uns einen geliebten Menschen in der Sterbestunde allein lassen mussten. Für Pflegekräfte, Ärzte und Bestatter, die sie in dieser schrecklichen Situation begleiten.
- Für alle Verantwortlichen, die in diesen Tagen weitreichende Entscheidungen treffen müssen. Für alle, die rund um die Uhr Schutzkonzepte umsetzen und sich in ihrem alltäglichen Tun an neue Abläufe gewöhnen müssen. Für Einzelhändler, für Schul- und Kita-Leitungen und ihre Mitarbeiterinnen und für alle Menschen im öffentlichen Dienst.
- Für alle Eltern und Kinder, die durch die aktuelle Situation schwer belastet sind. Für die Kinder, die zu Hause lernen sollen und denen Unterstützung fehlt.
- Für die Eltern, die Existenznöte erleben, und für alle, die jetzt besonders unter Aggression und Gewalt leiden.
- Für alle, die sich eine neue Normalität erhoffen. Für die Menschen, die sich durch die Grenzöffnungen wieder begegnen können, und für Nachbarinnen und Nachbarn, die immer noch durch Grenzen getrennt sind.
- Für alle, die Freundinnen und Freunde wiedersehen; für Menschen und Gemeinden, die wieder gemeinsam Eucharistie feiern können.
- Für uns und alle, die – immer noch unsicher – jede Situation in eigener Verantwortung neugestalten müssen.
- Für alle Menschen, die den zweiten Weltkrieg erlebt haben. Für die, die in diesen Tagen besonders an das Kriegsende erinnern und Frieden und Gerechtigkeit für Europa und die ganze Welt fordern. Für alle Menschen in den aktuellen Kriegs- und Krisengebieten der Welt.
- Für alle, die ausgerechnet in diesen Tagen ein neuer Antisemitismus bedrückt; für Menschen, die falschen „Nachrichten“ ausgeliefert sind und Hassreden und Verschwörungsgeschichten hören oder ihnen glauben.
Guter Gott, durch deinen Sohn zeigst du uns, wie Leben selbst im Tod gelingen kann. Für diese Hoffnung danken wir dir heute und alle Tage unseres Lebens und in Ewigkeit. Amen.
Nicole Stockschlaeder